Das Ballett
ist die Sprache der Seele

so schrieb Jean Georges Noverre in seinen Lettres sur la danse von 1760.
Wenn seine Hoffnungen und die Verheißung von Glucks großen Ballettpartituren, insbesondere seines Don Juan von 1761, doch nur in einem Mozartschen Meisterwerk, sozusagen in einem Figaro des Tanzes, in Erfüllung gegangen wären! Es hätte leicht geschehen können, denn Mozart tanzte gern und hatte, als er 11 Jahre alt war, sogar Unterricht bei dem großen Vestris genommen. Über die Bedeutung von Gaetano Vestris kann es keinen Zweifel geben, denn er selber hatte erklärt, dass sein Jahrhundert nur drei bedeutende Männer hervorgebracht habe: Friedrich den Großen, Voltaire und einen dritten, den zu nennen ihm die Bescheidenheit verbiete. Im Figaro, im Don Giovanni und in der Zauberflöte verwendet Mozart den Tanz auf eine durchaus eigentümlichen Weise, es fehlte ihm jedoch in den letzten zehn Jahren seines Lebens die Gelegenheit, ein Ballett zu komponieren. Und so waren es die belanglosen Partituren der Romantik, die zur Grundlage des klassischen Balletts wurden.

Les petits riens KV 299b

Mozart und Jean Georges Noverre (1727-1810) lernten sich 1773 in Wien näher
kennen. Während seines insgesamt unglücklichen Parisaufenthalts 1778 zählte der
damalige Compositeur et Maître des ballets der Pariser Académie Royale zu den
wenigen Hoffnungsträgern Mozarts. Noverre allerdings, der sich als Protégé seiner
Schülerin Königin Marie Antoinette Intrigen seiner Pariser Kollegen ausgesetzt sah,
was schließlich zur vorzeitigen Aufgabe seiner Position führte, war in seinen eigenen
Möglichkeiten offenbar begrenzt. Der junge Mozart speiste oft mit Noverre in
Paris, durch dessen Einfluss er einen Auftrag zu erhalten hoffte, eine große Oper
im französischen Stil zu schreiben. Die Oper kam nie zustande, doch Mozart genoss
den Vorzug, für Noverre ein Ballett zu schreiben, obwohl er dafür eigentlich nicht bezahlt
wurde.
Les petits riens, das zusammen mit Piccinnis Oper Le finte gemelle (Rom 1771,
Text: Giuseppe Petrosellini) aufgeführt wurde, war die Neufassung des gleichnamigen
pantomimischen Balletts, das Noverre 1767 am Wiener Burgtheater nach einer
Musik von Franz Aspelmayr choreographiert hatte. In diesem kommt im 1. Bild der
als Vogel verkleidete Amor kraft seiner Macht frei, nachdem ihm ein Mädchen ein

Flötenständchen gebracht hat. Amor wird überlistet und in einen Käfig gesperrt. Im 2. Bild wird ein Blindenkuhspiel geführt. Eine maskierte Schäferin führt einen verliebten Schäfer in Fesseln mit sich. Als es dem Schäfer gelingt, die Schäferin zu demaskieren, folgt dem Streit die Versöhnung. Im 3. Bild führt Amor zwei Schäferinnen einem schönen Schäfer zu, in den sich beide verlieben. Der vermeintliche Schäfer entpuppt sich als Mädchen, das erst durch das Entblößen seiner Brust die Schäferinnen über Amors List aufklärt. Ein ländliches Paar wird einem städtischen gegenübergestellt. Nach wechselseitiger Annäherung kehren beide Paare in ihren Lebensbereich zurück.

Ganz den Forderungen Noverres entsprechend reiht dies anakreontische Ballett „lebende Bilder“, Genrebilder, aneinander, wobei den Darstellern reichlich Gelegenheit zur subtilen Nuancierung von Ausdrucksqualitäten gegeben ist. In zeitgenössischen Berichten wurden die episodischen Bilder mit Gemälden Antoine Watteaus und François Bouchers in Bezug gebracht. Die Musik besteht in erster Linie aus traditionellen Tanzsätzen (Gavotte, Menuett, Passepied, Courante), was in der Frage der Autorschaft ein definitives Urteil unmöglich macht. Mit einiger Sicherheit sind nur die ersten drei und die letzten zwei der 20 Nummern Mozart abzusprechen. Ob Mozarts einzeln überlieferte Gavotte B-Dur (1778) ursprünglich für die Ballettmusik gedacht war, ist ungeklärt. Das Fehlen von Libretto und eindeutig zuzuordnenden Bühnenbild- und Kostümskizzen lässt eine ausführlichere Besprechung des Werkes nicht zu.

Am 9. Juli 1778 teilt Mozart seinem Vater die traurige Nachricht vom Ableben seiner Mutter mit. Etwas später fährt er fort:
„Wegen dem Ballett des Noverre habe ich ja nie nichts anders geschrieben, als daß er vielleicht ein neues machen wird – er hat just einen halben Ballett gebraucht, und da machte ich die Musique dazu – das ist, 6 Stücke werden von anderen darin seyn, diese bestehen aus lauter alten miserablen französischen Arien. Die Sinfonie, und Contredanse, überhaupt halt 12 Stücke werde ich dazu gemacht haben – Dieses Ballett ist schon 4mahl mit größtem beyfall gegeben worden – ich will aber izt absolument nichts machen, wenn ich nicht voraus weiß was ich dafür bekomme, denn dies war nur ein Freundstück für Noverre“.

Die Uraufführung fand am 11. Juni 1778 in der Grand Opéra im Anschluss an Piccinnis Le finte gemelle statt. Mozarts Name erschien nirgends. Am nächsten Tag war im Journal de Paris der Inhalt des Balletts folgendermaßen beschrieben:

„Es besteht aus drei Szenen, die getrennte und fast selbständige Episoden bilden. Der erste hat rein anakreontischen Charakter: sie zeigt Amor gefangen und in einen Käfig gesperrt – eine höchst ergötzliche Choreographie. Darin zeigen Mlle Guimard und M.Vestris der Jüngere all die Anmut und Gewandtheit, die durch den Stoff gegeben sind. Die zweite ist ein Blindekuhspiel. M. d’Auberval, dessen Begabung dem Publikum soviel Vergnügen bereitet, spielt hier die Hauptrolle. Die dritte ist ein boshafter Streich Amors, der eine als Schäfer verkleidete Schäferin zwei anderen Schäferinnen vorstellt. Mlle Asselin spielt den Schäfer. Mlle Guimard und Mlle Allard die Schäferinnen. Die beiden Schäferinnen verlieben sich in den angeblichen Schäfer, der schließlich, um ihnen die Augen zu öffnen, seinen Busen entblößt. Durch die Intelligenz und Anmut dieser drei Tänzerinnen gerät diese Szene sehr pikant. Wir möchten noch hinzufügen, daß in dem Augenblick, wo Mlle Asselin die beiden Schäferinnen von ihrem Irrtum befreit,verschiedene Stimmen „Encore!“ riefen. Die Variationen, die den Abschluß der Tanzdarbietung bildeten, erhielten starken Beifall…“

Daraufhin verschwand die Musik für ein Jahrhundert. Die Abschrift, die 1872 wieder auftauchte, enthält eine Ouverture und 20 Stücke. Alle wurden in der Neuen Mozart-Ausgabe veröffentlicht, da es nicht sicher ist, welche Stücke von Mozart stammen. Es gibt weniger als 12 Stücke, die wirklich von Mozart sein können, zumindest in der Form, in der sie erhalten sind.

Musik zu einer Pantomime KV 446

Merkwürdigerweise ist es vielleicht nicht die großartige Musik zu Idomeneo, die den besten Beweis für Mozarts Liebe zum Tanz liefert, sondern eine eher frivole Angelegenheit. Am 12. März 1783 schrieb er aus Wien an seinen Vater: „Wir haben am Fasching Montag unsere Compagnie Masquerade auf der Redoute aufgeführt – sie bestand in einer Pantomime, welche eben die halbe Stunde, da ausgesetzt wird, ausfüllte. – Meine Schwägerin war die Colombine, ich der Harlequin, mein Schwager der Pierrot, ein alter Tanzmeister (Merk) der Pantalon, sein Maler (Grassi) der Dottore – Die Erfindung der Pantomime, und die Musick dazu war beydes von mir. – der Tanzmeister Merk hatte die Güte uns abzurichten, und ich sag es Ihnen wir spielten recht artig.“

Es war ein Stück Commedia dell’arte, mehr Pantomime als Tanz. Die Musik ist in den Autographen zweier geringfügig voneinander abweichender Abschriften der ersten Violinstimme erhalten, die einige Hinweise auf das Szenarium enthalten. Franz Beyer hat das Fragment für Bläser und Streicher (wie sie im Redoutensaal zur Verfügung standen) instrumentiert, wobei er den Kopfsatz der Symphonie KV 84 als Ouvertüre und den Schlusssatz der Symphonie KV 120 als Finale verwendete. Obwohl in aller Eile zur Begleitung einer sehr simplen kleinen Darbietung komponiert, zeichnet sich die Musik durch Mozarts höchst anschauliche Satzweise aus, in der eine Gebärde, eine Grimasse oder eine Bewegung auf musikalisch vollkommene Weise geschildert werden. Man kann sich Mozart in der Rolle des Harlekins in der abwechselnd traurigen und fröhlichen Musik von Nr. 7 gut vorstellen, ein adretter, zappeliger kleiner Mann, befreit von seiner gewohnten Schüchternheit, indem er Kostüm und Maske des Harlekins anlegt.